Literatur

Leseprobe Textauszug aus "Abenteuer im Frisiersalon"

ISBN 3-9809336-0-1

Antologie erschienen im Dr. Ronald Henss Verlag Saarbrücken

...Die Gedanken treiben schwerelos. Zurück zu jenem Tag, der so bedeutend für mich sein sollte. Zurück in ein kleines Dorf zwischen Cannes und Nizza an der Cote d’Azur, im Sommer vor 12 Jahren. Ich hatte ein kleines Auto gemietet. Nur für die 14 Tage, die mir als Urlaub zur Verfügung standen. Heute war mein letzter Tag, meine letzten Stunden an dieser blautrunkenen Küste mit der prächtigen Vegetation und der gleißenden Sonne. Die Küstenstraße war nicht besonders befahren und ich genoss die letzte Fahrt zum Flughafen in der Nähe von Nizza. Dort musste ich den Wagen wieder abgeben. Ein kleiner Peugeot 106. Wendig und wie für mich geschaffen für meinen Bewegungsdrang und kulturellen Wissensdurst. Vom Hotel war ich zeitig losgefahren, hatte mein Gepäck im Kofferraum verstaut und wollte die Stunden bis zum ultimativ letzten Shuttlebus zum Flughafen und der Eincheckprozedur möglichst bis zur Neige in diesem Land genießen. Das Sonnenverdeck zurückgeschoben umwehte eine böige Brise des immerwährenden Mistrals mein Gesicht. Langsam zog es sich zu. Die Gewitter kamen überraschend hier, entluden sich mit Wucht und waren meist bald wieder verschwunden. Hinterließen die Erde in noch saftigerer Fruchtbarkeit als zuvor. In einem der typischen kleinen Dörfer hielt ich an, um das Verdeck zu schließen, als die ersten Tropfen fielen. Der Ort besaß nur ein paar Häuser, eine Boulangerie, eine Boucherie und einen Coiffeur, vor dem ich nun stand. Eines dieser idyllischen Postkartendörfer, in denen die Zeit stehen geblieben schien, voller Ruhe und jenseits des lauten Touristenrummels. Kein Restaurant warb mit seinen Menus, kein Andenkenladen verschandelte die noch originären Häuserfassaden. Auf der gegenüberliegenden Seite hatte eine alte Frau zwei der obligatorischen Baguettes unter den Arm geklemmt, sonst befand sich niemand auf der Straße. Ein altes verwittertes Schild wies den Laden hinter mir als Frisiersalon aus, eine rostige Kette schaukelte den silbernen Teller heftig im aufkommenden Wind. Es würde ungemütlich werden und nun wollte ich doch möglichst bald den Shuttlebahnhof neben der Mietautogarage erreichen. Mein Flieger ging in fünf Stunden am frühen Nachmittag.
Ich bestieg den Kleinwagen und startete. Der Wagen gab ein unangenehmes Geräusch von sich und bewegte sich keinen Meter. Auch der zweite und dritte Versuch brachten nichts Neues. Leichte Panik wollte aufsteigen. Wo sollte ich hier Hilfe bekommen? Kein Telefon, keine Werkstatt, kein Taxi in der Nähe. Noch war Zeit genug, versuchte ich mich zu beruhigen. Vielleicht gab es ja im Frisiersalon hinter mir ein Telefon. Der Mistral hatte seine beste Wolkenwand geschickt und sie schien sich genau über mir zu entladen. Der kurze Weg in den Laden hatte schon dafür gereicht, recht durchnässt zu werden. Die Tür ging schwer und setzte eine uralte Klingel an einer Feder über ihr in Betrieb. Drei Augenpaare starrten mich freundlich fragend an. Der Frisör, ein Mann in undefinierbarem Alter, aber schon mit schlohweißem Haar gesegnet, war gerade über seinen nicht minder jüngeren Kunden gebeugt, der als weiß ummantelter Berg auf einem schweren Stuhl nach hinten gekippt, eingeschäumt auf seine Rasur wartete. Im Hintergrund faltete eine zierliche alte Dame in adretter spitzenumsäumter Kleidung einige Tücher zusammen. Die Frau kam auf mich zu und fragte, was sie für mich tun könne. Dass ich nicht wegen einer Frisur gekommen war, schien ihr sofort klar zu sein, obwohl ich nach dem Guss bestimmt eine Wäsche hätte brauchen können. Mit schmalen Französischkenntnissen schilderte ich meine prekäre Situation. Ein wissendes Lächeln umspielte ihr Gesicht, auf dem dabei Tausende von kleinen lustigen Fältchen tanzten. Ah, Jaques könne doch zu Lemont geschickt werden. Lemont kennt sich aus mit Autos. Er repariert auch die Waschmaschine im Geschäft, wenn es nötig ist. In den Nebenraum, der durch einen Vorhang vom Hauptraum getrennt war, rief sie nach Jaques. Ein etwa 10-jähriger hübscher Junge steckte seinen tiefschwarzen Lockenkopf heraus und nickte bei den Anweisungen artig. Dann verschwand er, so schnell wie er erschienen war. Die alte Dame zeigte auffordernd auf den Wartebereich und versicherte, dass Lemont bald kommen werde. Der alte Mann widmete sich wieder in aller Ruhe seinem Kunden und bald waren beide in ein lebhaftes Gespräch vertieft, dessen Sinn mir nur bruchstückhaft verständlich war. Sie schienen in dem landesüblichen Dialekt zu schwelgen, ich verstand nur einige Worte, die offensichtlich um eine Weinsorte kreisten. „Vin rouge“ wiederholte sich oft oder nur „le Rouge“. Sie waren sich wohl über gewisse Qualitätsmerkmale nicht einig.
Während ich so saß, hatte ich genug Zeit, mich umzusehen. Der Raum war sauber und einfach eingerichtet, ein Tisch und zwei Stühle für die Wartenden standen bereit, eine zerlesene drei Monate alte Illustrierte sollte wohl Zerstreuung bieten. Ein Waschbecken, mehrere Schüsseln an der Wand, Tiegelchen und Flaschen auf einem schmalen Regal vervollständigten die spartanische Einrichtung. Ein wuchtiger Spiegel verdoppelte optisch den schmalen Raum. In einem ovalen Rahmen hing ein Familienfoto, daneben eine vergilbte Urkunde, die den Meister wohl zu dem auszeichnete, was er war. Die nette alte Frau war verschwunden, aber bald durchströmte ein betörender Kaffeeduft den Raum und überdeckte so den Geruch nach frischer Seife und Haarwasser. Madame kam wieder und trug ein Tablett mit vier gigantischen Tassen, das sie auf das Tischchen vor mir abstellte. Dazu zwei Kannen mit Milch und Kaffee, die sie in jahrelanger Tätigkeit geübt schwungvoll mit dickem Strahl gleichzeitig in die Tassen goss, ohne einen Tropfen zu verschütten. Mit einer weiteren freundlichen Geste forderte sie mich auf, zu trinken. Lemont viens bientôt – Lemont kommt bald...

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